Artikel: Was passiert, wenn Güterzüge stehen: GDL-Streik gegen die Wirtschaft
Fast alle Industriebranchen und auch die Kraftwerksbetreiber sind auf einen zuverlässigen Schienengüterverkehr angewiesen. Der GDL-Streik trifft die deutsche Wirtschaft inmitten einer ohnehin schweren Rezessionsphase und gefährdet die Sicherheit der Energieversorgung während der Heizperiode.
Risiko für deutsches Versorgungsnetzwerk:
Wenn die Züge der größten europäischen Güterbahn, der DB Cargo, bestreikt werden, hat das schon nach kurzer Zeit unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgungs- und Lieferketten und die dortigen Arbeitsplätze aller Industriebranchen in Deutschland.
Der GDL-Streik trifft DB Cargo und damit die deutsche Wirtschaft besonders, weil DB Cargo, anders als viele Mitbewerber, eine Netzwerkbahn ist und nicht nur einfache Shuttleverkehre anbietet. DB Cargo ist insbesondere mit dem Einzelwagenverkehr im engen Produktionstakt von Industriebetrieben, Fabriken, Stahl-Hochöfen oder Kraftwerken unterwegs. Zudem arbeitet DB Cargo im Netzwerk mit zahlreichen anderen Logistikern partnerschaftlich zusammen.
Ein mehrtägiger Streik gefährdet mittelfristig die Versorgung von rund 15 deutschen Großkraftwerken mit Steinkohle während der Heizperiode im Frühjahr. Aber auch die Versorgung mit Mineralöl an die Raffinerien und Tanklager in Deutschland wird durch einen GDL-Streik tangiert. Ebenso können die meisten Massengüter für die Stahl- und Chemieindustrie nicht ad hoc auf die Straße umgeladen werden. Dazu zählen insbesondere Chemie-Gefahrguttransporte, Rohstofflieferungen für die Stahlindustrie und Exporte der Automobilwirtschaft an Seehäfen – aufgrund von Volumen und Sicherheit. Bei Stahlwerken kann das kurzfristig zum Komplettausfall von Hochöfen führen. Ebenso werden Lieferketten für die Automobilindustrie nachhaltig gestört. Auch die Paketbranche ist von den Streikmaßnahmen betroffen. Die Folge: Züge, beladen mit tausenden Lieferungen, erreichen nicht fristgerecht ihre Empfangsorte. Insgesamt fährt die DB Cargo bis zu 20.000 Güterzüge pro Woche in ihrem europäischen Netzwerk auf der klimafreundlichen Schiene.
Risiko für Europa:
Deutschland ist die Drehscheibe für Güter. Sechs von zehn europäischen Güterverkehrskorridoren auf der Schiene führen mitten durch Deutschland, zwei Drittel der Züge von DB Cargo rollen über mindestens eine nationale Grenze. Im Güterverkehr wird es auch nach einem Streikende mehrere Tage bis Wochen dauern, bis das europäische Netzwerk in Schwung kommt, so die Einschätzung der DB.
DB Cargo versucht mit allen Kräften, die genannten Folgen für die Kunden in der Wirtschaft und Industrie abzumildern. Insbesondere versorgungsrelevante Züge (beispielsweise für Kraftwerke, für Raffinerien oder andere Schlüsselbranchen) stehen im Fokus.
Die DB Cargo ist die größte Güterbahn Europas und betreibt mit 30.000 Mitarbeitenden in 18 Ländern wöchentlich rund 20.000 Güterzüge. Rund 4.200 Zugangspunkte in ganz Europa (Güterbahnhöfe, Häfen, Terminals, Gleisanschlüsse) fährt DB Cargo für Kunden aus Industrie und Wirtschaft an.
Deepdive
Branche | Auswirkung eines GDL-Streiks |
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Stahl | Aufgrund des hohen Volumens ist eine permanente Versorgung mit Rohstoffen über die Schiene unerlässlich. Ein Stahlwerk benötigt in der Regel zwischen 35 und 40 mit Erz beladene Züge pro Woche. Bleibt die Versorgung 2-3 Tage aus, kann der Stoffkreislauf zum Erliegen kommen und Hochöfen müssen heruntergefahren werden. |
Automobil | Als Bahnlogistiker ist DB Cargo eng in die Versorgungs-/Logistikkette der Automobilkunden eingebunden und liefert „Just in time“ ins Werk. Die europäischen Werke der deutschen Automobilhersteller haben einen Puffer von maximal 24 Stunden. Ab diesem Zeitpunkt kann es zu Auswirkungen im Produktionsablauf kommen, die im schlimmsten Fall bis zu einem Bandstillstand in einigen Produktionsstraßen führen können. |
Chemie | Produktionsprozesse in der Chemieindustrie sind eng getaktet und Ausfälle von Produktlieferungen führen zu empfindlichen Störungen. Bei Totalausfall der Rohstofflieferungen sind die Auswirkungen immens. Die großen deutschen Chemiefirmen sind in sogenannten Clustern verortet: Dies sind meist Verbundstandorte, bei dem sämtliche Firmen Zwischenprodukte untereinander austauschen. Ein Abstellen der Anlagen könnte am Ende zu Lieferverzögerungen und Produktionsausfällen in unterschiedlichsten Industrien wie Biotechnik, Auto, Medizin, Lebensmittel, Hygiene, Verpackung, Solarindustrie oder Baustoffe führen. |
Mineralöl | Raffinerien wie in Leuna, Schwedt aber auch Ingolstadt oder Burghausen sind auf Schienentransporte angewiesen. Hinzu kommt, dass in Streikzeiten mehr Menschen auf Bus und Auto umsteigen und die Nachfrage nach Kraftstoff an den Tankstellen zunimmt. Die Folge können Versorgungsengpässe mit Kraftstoff an deutschen Tankstellen aber auch Flughäfen sein, da auch diese meist mit Güterzügen beliefert werden. |
Seehäfen | Der Schienengüterverkehr ist für die Anlieferung und den Abtransport von Containern in Seehäfen von großer Bedeutung – für den In- und Export von Waren und Materialien. Entfallen Güterzüge aufgrund eines längeren Streiks im großen Umfang, kann es zum Rückstau in den Häfen beziehungsweise im Schiffsverkehr kommen. Auch auf den Verkehr ins Hafenhinterland hat ein Streik Auswirkungen: Industrie- und Gewerbebetriebe sind von der Versorgung mit Exportgütern abgeschnitten. In Zeiten von „Just-in-time“-Produktionen können Lieferengpässe entstehen. |
Kohle | DB Cargo versorgt deutsche Kraftwerke pro Woche mit rund 50 Zügen voller Steinkohle. Ein längerer Streik behindert mittelfristig die Lagerhaltung – Lieferverzögerungen führen also mit einem zeitlichen Verzug zu Problemen in der Brennstoffversorgung. |
Paketzüge | Wöchentlich fährt DB Cargo 52 Paketzüge, so genannte Parcel Intercitys. Ein Zug ist im Durchschnitt mit rund 100.000 Paketen beladen, die bei einem Streik dann nicht rechtzeitig ihre Empfänger erreichen. |