Mit Mut und Menschlichkeit: Voller Einsatz für einen Fahrgast

Artikel: Mit Mut und Menschlichkeit: Voller Einsatz für einen Fahrgast

Zugbegleiter Patrick Ingenschay denkt nicht lange nach, als ein Fahrgast zusammenbricht. Mit seiner Hilfe kann die Zeit überbrückt werden, bis ein Rettungswagen beim Nothalt eintrifft. Keine Selbstverständlichkeit – sagt auch Fernverkehrsvorstand Michael Peterson, der ihn kurzerhand zum Mittagessen einlädt.

Patrick Ingenschay ist Zugbegleiter. Wenn er Fahrkarten kontrolliert, hat er immer einen lustigen Spruch parat. Manchmal einen kessen. Über ein Schmunzeln hier und da oder eine schlagfertige Antwort freut er sich. Neben Lob gibt es immer auch typische Meckereien. Das alles ist Alltag für den Zugbegleiter – doch manchmal, da kommt es ganz anders. Als ein Fahrgast im ICE von München nach Berlin zusammenbricht, denkt der Zugbegleiter nicht lange nach. Während er, den Hinweisen der Reisenden folgend, durch den Speisewagen zur ersten Klasse eilt, bittet er den Lokführer per Telefon, am nächstgelegenen Bahnhof Nothalt zu machen. Die Zugchefin fordert indessen einen Rettungswagen an und bittet im ICE per Durchsage anwesende Ärzt:innen zur ersten Klasse. Als Ingenschay ankommt, sieht er einen Mann von Mitte 60 in den Armen seiner aufgeregten Tochter. Es sei doch gerade noch alles in Ordnung gewesen, sagt seine Frau, die fassungslos daneben steht, auf Englisch. Es sind Touristen aus Indien.

Zwischen Schreien und Schaulustigen

Er beruhigt die Familie und spricht ihnen Mut zu. Die Tochter ruft, sie sei selber Ärztin, scheint aber im Schock keine sinnvolle Maßnahme zu ergreifen. „Sie hielt ihren Vater nur in den Armen und schrie“, erinnert sich Patrick Ingenschay. Er schaute sich den Fahrgast genauer an. Bläulich habe er ausgesehen. „Als mir auffiel, dass seine Zunge nach hinten gefallen war, habe ich versucht, ihn umzulagern.“ Ingenschay bringt den Mann in die stabile Seitenlage und prüft Atmung und Puls. Beides ist schwach vorhanden. Der Zugbegleiter entscheidet sich für eine Herzmassage. Bald treffen auch zwei ausgerufene Ärzte und ein Rettungssanitäter ein. Ein junger Arzt weist die anwesenden Mediziner und Ingenschay an, abwechselnd die anstrengende Herzmassage weiterzuführen.

„Das Schreckliche an dem Ereignis waren die Schaulustigen“, erinnert sich Ingenschay. Er habe die Reisenden immer darum bitten müssen zurückzutreten. „Sie haben dem Fahrgast förmlich die Luft zum Atmen genommen!“

Als der ICE in den Bahnhof einfährt, ist der Notarztwagen noch nicht da. Ingenschay massiert weiterhin den Brustkorb des Mannes, als dieser schließlich per Trage in den Wagen befördert wird. Der Rettungshubschrauber kreist bereits im Hintergrund.

Wertschätzende Worte

Vom Speisewagen aus bleibt einigen Reisenden die Szene mit dem Rettungswagen kaum verborgen. Einer dieser Reisenden wendet sich später an die Pressestelle der DB: „Was für ein Held, dieser Zugbegleiter.“ Ganz großartig sei das gewesen, berichtet er später mit bebender Stimme. „Der ganze Mist, den man erlebt mit der Bahn, ist dann egal. In so einem Moment weiß man, was wirklich wichtig ist im Leben.“

Auch Fernverkehrsvorstand Michael Peterson ist über die Hilfsbereitschaft und den Mut des Zugbegleiters beeindruckt und lädt ihn kurzerhand auf ein Mittagessen ein. Vorerst muss Ingenschay ablehnen, denn seinen Urlaub nutzt er jetzt zum Ausruhen. Persönliche Zeilen zu dem außergewöhnlichen Einsatz erhält er auch vom Teamleiter.

Was bleibt

Für Patrick Ingenschay ist es selbstverständlich zu helfen, wo es notwendig ist. „Ein bisschen stolz bin ich schon auf mich“, sagt er. Mittlerweile liegt das Ereignis über einen Monat zurück. Langsam verblasse die Erinnerung. Aber eines bleibe: „Ich hatte zuvor privat eine schlechte Nachricht erhalten, die mich traurig gemacht hat. Aber solche einschneidenden Ereignisse, bei denen es um Leben und Tod geht, relativieren viele Alltagssituationen einfach.“

Ob der indische Fahrgast den Zusammenbruch überlebt hat, konnte Patrick Ingenschay nicht herausfinden. Er hat versucht, die Klinik zu kontaktieren – leider ohne Erfolg. „Aber letztendlich weiß ich zumindest, dass ich alles gegeben habe. Mehr konnte ich nicht tun.“